Montag, 15. Oktober 2012

Vom Glück schier erschlagen

Man, bin ich froh, dass ich mir einen dicken Schmöker zum Lesen mitgenommen habe. Den Umständen entsprechend habe ich mich für "Nicht mein Tag" entschieden. Aber dass ich damit den Nagel so dermaßen auf den Kopf treffen würde, damit hatte ich bei meiner Buchwahl am Morgen noch nicht gerechnet. Außerdem schleppte ich bereits eine Reisetasche mit mir rum. Von A wie Augencreme bis Z wie Zahnbürste alles inklusive. Es mag vielleicht für die Ambulanzschwestern ein etwas verqueres Bild abgegeben haben, dass ich zur Blutabnahme mit meiner Reisetasche erschien, aber das war mir zu diesem Zeitpunkt egal.

Ich war so ziemlich die Erste als ich mich zum Anmeldeschalter begab. Nicht nur, dass ich für die Schwestern keine Fremde mehr war, nein, sie kannten mich sogar schon beim Namen.

Merke: wenn dich die Schwestern in einer Krankenhausambulanz bereits beim Namen nennen können und dein Akt griffbereit ist, dann ist das kein gutes Zeichen.

Kurz nach meiner Anmeldung wurde ich bereits aufgerufen und zur Blutabnahme geholt. Offenbar wollten sie den am Vortag festgestellten Werteanstieg des HCG mit einer weiteren Probe untermauern. Mein Blutröhrchen kam in eine Transportbox und wurde mit dem Vermerk "EILT" Richtung hausinternem Labor verschickt. Ich fragte noch wie lange es wohl dauern würde und setzte mich wieder in den Warteraum um in meinem Buch zu Lesen. Vielleicht sollte ich auch erwähnen, dass ich nüchtern war und nichts lieber getan hätte, als mir einen leckeren Cappuccino zu gönnen. Da es aber sein konnte, dass ich schon in einer guten Stunde wieder am Operationstisch liegen würde, sollte ich diesbezüglich aber keinen trinken.

Also machte ich es mir im Warteraum gemütlich und las. Und las. Und las. Ich bin generell ein nicht sehr geduldiger Mensch, aber als ich nach einer Stunde mal vorsichtig nach meinen Ergebnissen fragte und eine negative Antwort diesbezüglich bekam, wurde ich schon ein wenig hibbelig. Immerhin ging es ja nicht nur um meine Ergebnisse. Der komplett weitere Verlauf dieses Tages hing von diesen Werten ab. Musste ich operiert werden? Und wenn ja, wann? (und vor allem nicht zu unterschätzen waren mein mittlerweile nicht mehr auszuhaltender Hunger und vor allem Durst). Ich setzte mich also (bereits leicht genervt) auf meinen Platz und wartete weiter. Patienten kamen und gingen. Ich wartete immer noch. Nach 1,5 Stunden holte mich die Schwester zu sich. "Endlich", dachte ich und freute mich über die überstandene Wartezeit. Aber was jetzt kam, dass war zu viel für mich. Ich nahm mein doofes Schicksal ruhig und gelassen hin. Operation über Operation, Hiobsbotschaft über Hiobsbotschaft. Aber jetzt war ein Punkt erreicht an dem ich feststellen musste, dass meine Nerven nicht aus Stahl waren. Nein, irgendwann war Schluss mit lustig.

Auf der nach oben offenen "wie absurd kann mein Leben noch werden" – Skala erreichte DAS einen neuen Topwert.

DIE HATTEN TATSÄCHLICH MEIN BLUT VERLOREN!

Die Schwester entschuldigte sich gefühlte zwei Millionen Mal. Und dennoch: ich war kurz vorm Explodieren. Wie schwer kann es bitte sein eine thermoskannengroßen Gegenstand mit der Aufschrift "LABOR" und "EILT" eilig ins Labor zu befördern? Ach Mensch. Wie dumm kann man sein?

Ich weiß, ich weiß. Richtet nicht damit ihr nicht gerichtet werdet. Aber ich wollte richten, und zwar hin.


"Das ist wirklich peinlich, aber glauben sie mir: das passiert gerade Mal zwei Mal im Jahr", kommentierte die Schwester.

"Prozentuell gesehen wäre das wohl echt nicht viel", blökte ich zurück und blickte zynisch in Mr. T´s Augen, der mittlerweile diesem Schauspiel beiwohnte. Er kannte sich sofort aus auf was ich anspielte und versuchte mich zu beruhigen.

"Was machen wir jetzt? Ich kann nicht von ihnen verlangen, dass sie sich ein weiteres Mal stechen lassen."

"Ach bitte, auf einen Stich mehr oder weniger kommt es bei meinen Armen auch nicht mehr an. Vielleicht sollte ich jedoch die Probe persönlich ins Labor bringen." Ich hoffte, dass er den Zynismus bemerken würde.

"Na gut, dann schicke ich ihnen dann noch mal die Schwester. Ich würde Ihnen übrigens gerne eine weitere Operation ersparen. Doch wir müssen handeln, denn ihre Werte sind wieder gestiegen und restliche Gewebeteile sind offenbar weitergewachsen. Das haben sie ja bereits am Telefon erfahren. Es gibt ein Medikament namens Methotrexat. Dieses Medikament verhindert die Produktion von neuen Zellen und stoppt das Wachstum. Die Verabreichung des Medikamentes erfolgt mittels einer intramuskulären Injektion. Die Eileiterschwangerschaft wächst auch häufig noch in der Größe. Dies ist wahrscheinlich das Resultat eines Blutergusses und weniger eines wirklichen Wachstums der Schwangerschaft. Wir müssen es bestellen. Wenn sie morgen noch einmal vorbeikommen könnten, dann spritzen wir es ihnen. Dann haben sie es überstanden."

"Das wäre schön."

"Gut, dann sehen wir uns morgen wieder."

Und so verließ ich nach eindeutig zu vielen Stunden die Klinik. Auf der einen Seite froh einer weiteren Operation entgangen zu sein, auf der anderen Seite erschüttert, was mir wieder alles passiert war. Die Neuigkeiten wurden prompt wieder unter die Massen (Hasi, Eltern, engste Freunde und Kollegen) gebracht. Manche (mich eingeschlossen) fanden es wirklich schon absurd was hier vorging. Meine Kollegin meinte sogar, sie traue sich schon gar nicht mehr beim Telefon abheben, denn ich hatte immer noch schlechtere und noch unglaubwürdigere Nachrichten. Ja, ich empfand es auch bereits so. Aber zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nichts vom weiteren Verlauf. Alles bisherige war dagegen ein Kindergeburtstag (ein ziemlich wagemutiger Vergleich – ich weiß). Pipifax. Nicht der Rede wert. Ich hatte ja keinen blassen Schimmer was die nächsten paar Tage noch für mich in petto hätten.

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