Mittwoch, 10. Oktober 2012

Spermiogramm: Klappe die Zweite und mein OP-Termin

Ja wie sollte es denn anders sein. Spermiogramm Nummer 2 war eine volle Enttäuschung. Um nicht zu sagen ein Desaster.  Noch weniger brauchbare Jungs. Und, meine Damen und Herren, Trommelwirbel, zusätzlich wurde noch eine Krampfader festgestellt, die offenbar ausschlaggebend für die  schlechte Spermienmenge war. Langsam aber sicher gewöhnte ich mich an negative Informationen. Es wurde Routine.

Dabei hatten wir so ein gutes Gefühl bei dieser Sache. Ich hatte Hasi zu seinem Termin begleitet, und nach getaner "Arbeit" brachten wir ganz stolz und voller Hoffnung auf gute Qualität den Becher ins Labor.

Bereits Tage zuvor hatte er auf Sauna und Badewanne verzichtet, kein Radfahren, gesunde Ernährung, kein Alkohol. Und natürlich kein Sex. Es sollten Minimum 4 Tage zwischen dem letzten Geschlechtsverkehr und dem Abgeben der Probe liegen.

Mit diesen "tollen" Neuigkeiten  ausgerüstet, marschierten wir wieder in die Kinderwunsch-Klinik. Erstens wollte ich wissen, was bei meinem zweiten Bluttest herausgekommen war und zweitens musste ich mir noch einen Operationstermin ausmachen. Diese OP würde Zyklusabhängig durchgeführt werden, ich sollte mich also am ersten Tag der nächsten Regel melden. Voraussichtlich sollte ich am 16. Juli operiert werden.

Es gab 2 verschiedene Möglichkeiten.

Mr. M. stellte uns meine beiden Optionen vor. Er meinte: "Von Variante eins rate ich ab. Das macht in ihrem Fall keinen Sinn. Diese Variante wird ohne Narkose durchgeführt. Hierbei würde ein milchartiges Kontrastmittel durch den Muttermund und die Gebärmutter bis in die beiden Eileiter gespritzt. Auf dem Röntgen sieht man dann ob die Eileiter verstopft sind."

"Aber", sprach er weiter, "man sieht zwar dann dass sie verstopft sind, kann aber nichts machen. Und deswegen macht es bei ihnen auch keinen Sinn. Durch den Verdacht auf Endometriose müssten wir sowieso zusätzlich eine Bauchspiegelung machen und da geht die Eileiterdurchgängigkeitsprüfung gleich mit. Und durch die Narkose könnten wir dann auch gleich durchblasen."

Er erklärte uns dann noch was genau bei der Bauchspiegelung auf mich zukommen würde. Gas rein, riesen Blähbauch, Endemetrioseherde aufspüren und wegschnippeln, Gas raus (meist auf natürlichem Weg, wenn ihr wisst was ich meine). Fertig. Das würde es sein. Wenn alles gut ginge drei kleine Schnitte (zwei links und rechts im Unterleib, einer unter dem Nabel), wenn es zu Komplikationen kommen würde, dann würde mir der ganze Bauch aufgeschnitten werden. Auf das konnte ich getrost verzichten. Nicht nur aus rein kosmetischen Gründen. Nein. Man hört ja immer wieder, dass sich Partner, die lange Zeit zusammen sind, immer ähnlicher werden. Und Hasi hat auch einen Reißverschluss über den ganzen Bauch (ein Mitbringsel aus seinem Heeresdienst). Ich muss ihm ja nicht alles gleichtun.

Für mich hörte sich das irgendwie an wie eine Dauerwerbesendung am Home-Shopping-Kanal.

Wenn sie sich in den nächsten 5 Minuten für die Bauchspiegelung entscheiden, bekommen sie nicht nur einen, NEIN, sie bekommen zusätzlich BEIDE Eileiter durchgeblasen.

Also alles in allem würde es eine nette Kombination aus Kontrastmittel, Hochdruckkärcher und Gas werden. Jede Menge Gas.

Wir, im speziellen ich, entschieden uns für die All Inklusive Variante. Wenn schon denn schon. Hatte ja auch etwas positives, wenn man alles auf einmal erledigen konnte. Und auf die Variante, in der mir ohne Narkose eine Art Klammer auf meinem Muttermund festgemacht wurde und, ich wiederhole, ohne Narkose dieses Kontrastmittelzeugs rein gespritzt werden sollte, war ich nicht gerade scharf.

Wie gesagt: OP Termin voraussichtlich am 16. Juli.

So das wäre erledigt. Aber da war doch noch etwas.
Ach ja. Meine Blutwerte. Die Auswertung des Anti-Müller-Hormons.
Ich fragte Mr. M ganz vorsichtig: „Was kam eigentlich bei meinen 2. Blutwerten raus?“
Mr. M blätterte in meinem Krankenblatt ein paar Seiten zurück und sagte: „Alles im Normalbereich.“

Wie? Normalbereich? Hasi und ich rissen die Augen auf und starrten uns an, als hätte uns gerade jemand erklärt, dass die Erde doch eine Scheibe ist. Wow. Dieses Wort musste ich angesichts unserer momentanen immer wieder mit negativen Informationen überladenen Lage mal im Duden nachschlagen. Normalbereich.

Normalbereich.

Schön. Das war Musik in meinen Ohren. So etwas hatte ich seit Anbeginn unseres Kinderwunsches nicht 1 x zu hören bekommen.

Man könnte jetzt natürlich sagen „Mann, die ist ja irre. Macht wegen einem harmlosen Wort so ein Theater“, aber ein kleiner Lichtblick in diesem Tal der Finsternis tat uns schon gut. Und ja, wir konnten uns auch über die klitzekleinen Dinge im Leben freuen.

In den darauf folgenden Tagen machte ich dann einen riesengroßen Fehler. Ich recherchierte im Internet über diese Operation. Halleluja. Im World Wide Web findet man echt alles. Alles was man nicht wissen soll oder will. Das ist vergleichbar mit dem Lesen der Nebenwirkungen eines Medikamentes in der Packungsbeilage. Man denkt, dass es gut wäre sich zu informieren, aber es wird alles schlimmer. Mit viel Glück bekommt man mit harmlosen Kopfschmerztabletten auch gleich noch Knochenschwund mitgeliefert.

Was ich über diese OP rausgefunden habe wollt ihr wissen? Tja.

Ich versuche es wiederzugeben (da läuft es mir jetzt noch kalt über den Rücken):

Um einen besseren Überblick im Bauchraum zu bekommen, wird eben nicht nur Gas in den Bauchraum gepumpt (das wusste ich ja bereits) sondern (und jetzt haltet euch fest) wird der OP Tisch mit der Patientin (also mir) aufgestellt. Quasi kopfüber, damit der Darm nach oben „fällt“ und somit untenrum freie Sicht ist. Hallo?

Ich weiß, ich weiß, vielleicht habe ich eine ziemlich kranke Fantasie. Aber:

Wenn bei mir zusätzlich auch dieses Kontrastmittelzeugs gemacht wurde, setzte es voraus, dass ich also untenrum auch völlig nackt war. Und wer meinen Gedanken immer noch nicht folgen kann, hier für eure Vorstellung, langsam zum „mitschreiben“:

Ich, Nackedei, kopfüber aufgespreizt auf einem OP Tisch, vollgepumpt mit Gas. Nicht nur keine schöne Vorstellung, aber ich würde ja aussehen wie ein Y!

Wenn sich noch 3 lustige Ärzte oder Schwestern im OP finden würden, könnten wir getrost einen auf Y-M-C-A machen!

Aus. Punkt. Ende.

Memo an mich: keine weiteren Recherchen mehr über dieses Thema im Internet.

Stimmung:  extrem nervös, aber eindeutig selber schuld daran

Wir schaffen das auch

Da wir in unserem Umfeld die einzigen waren, bei denen der Kinderwunsch zur Herausforderung wurde und im Gegenzug bei unseren Freunden und auch bei unseren Geschwistern die Kinder regelrecht rausflutschten, hat sich natürlich in der Zwischenzeit einiges getan.

Im Februar dieses Jahres bekam Hasi´s Schwester ein Baby. Einen süßen kleinen Fratz namens L. Es war schon schwierig genug von der Schwangerschaft zu erfahren und dann fast 9 Monate lang das für uns schier unmögliche präsentiert zu bekommen. Einen richtig fetten, kugelrunden Schwangerschaftsbauch, entstanden auf ganz natürlichem Weg. Wir mussten uns damit abfinden, dass nicht wir das erste Enkelkind beisteuern würden, sondern Hasi´s um Jahre jüngere Schwester. Sehr toll. Von nun an vermehrten sich zusätzlich die schmerzenden Anmerkungen wie "na, wann ist es denn bei euch endlich so weit?" oder „bei euch wäre es jetzt auch endlich mal an der Zeit“. Ich konnte es nicht mehr hören. Ich hatte es so dermaßen satt diesen Satz zu hören. Es war zum aus der Haut fahren. Und ich hatte es außerdem so dermaßen satt, diesen Satz zu kommentieren.  "Wir lassen uns noch Zeit." "Jetzt suchen wir mal ein Haus." Blablabla.

Und um noch richtig schön Salz in unsere Wunden zu streuen und noch einmal schön darauf hinzuweisen, dass wir immer noch kinderlos waren, wurden wir zu L´s Taufpaten ernannt. Nicht dass wir uns nicht gefreut hätten. Wir freuten uns riesig auf diese Aufgabe. Und wir freuten uns auch riesig über L im Allgemeinen.

Aber seien wir uns ehrlich: leichte Kost war das nicht. Man wünscht allen nur das Beste, freut sich mit allen mit, möchte nur das Beste für den kleinen Wurm. Aber jeder in dieser Situation wird mir bestätigen können, dass es extrem schwierig ist und mit sehr viel Kraft verbunden ist.  Und es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass es mir gut ging in diesen Monaten. Irgendwann hab ich dann einmal meinen Frieden damit geschlossen. Keine Ahnung wie mir das gelungen ist. Wir freuten uns auf jeden Fall ganz toll auf unser Patenkind.

Natürlich wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand von unseren Familien bescheid.

Und auch zum Zeitpunkt der Taufe im Juni hatten wir gerade mal meine Eltern und meinen Bruder eingeweiht.

Ich besorgte ein Taufkettchen mit Schutzengelanhänger und ließ es mit dem Geburtsdatum gravieren. Ein Taufbuch, einen Rosenkranz, eine wunderschöne Taufkerze mit Untersetzer und zu guter letzt wagte ich mich selbst noch über eine Torte, die aussah wie ein Babygesicht mit Schnuller (wurde übrigens ganz toll, wenn man nicht vorhatte sie zu essen). Außerdem legten wir für L auch noch ein Sparbuch an, das er nach seiner Firmung plündern könnte.

Die Taufe selbst war an einem Samstag. Eine zweite Familie war auch dabei, deshalb waren die Lesungen und Lieder aufgeteilt und von beiden Familien verschiedene Geschichten ausgewählt worden.

Beim durchlesen der Texte im Vorfeld, hatte ich mich schon über eine Textpassage der anderen Familie gewundert und habe diese sogar noch belächelt. Es hieß darin: "Lieber Constantin, so lange haben wir auf dich gewartet, und dann kamst du doch zu früh."

Ich musste lachen. Also was jetzt. Lange warten? Zu früh kommen? Was wollten die damit aussagen? Für meinen Geschmack war das ziemlich unvorteilhaft formuliert.

Das Lachen verging mir relativ schnell.

Während der Taufe standen die anderen Eltern auf und lasen einen selbstverfassten Text vor. In diesem Text ging es darum, dass die beiden bereits seit 10 Jahren versuchten ein Baby zu bekommen (so lange mussten wir auf dich warten). Lasst euch das mal auf der Zunge zergehen. 10 Jahre. Constantin war ein ziemliches Frühchen (dann kamst du doch zu früh), aber es ist alles gut verlaufen.

Ich saß während dieses Textes wie angewurzelt auf meinem Stuhl und vernahm die Worte der Beiden. Tausend Bilder schossen mir durch den Kopf. Ich dachte gleichzeitig an so Vieles und doch an gar nichts. Meine Härchen an den Armen stritten sich um einen Stehplatz, ich war so ergriffen. Wie hypnotisiert starrte ich die Beiden an und lauschte ihrem Text über ihr Wunschkind Constantin. Als sie zu weinen begann (was ich verstand, denn mir kullerten bereits seit längerem die Tränen in Zweierreihen über die Wangen), drückte er sie ganz fest an sich und schaute ihr kurz aber bestimmt ganz tief in die Augen. Diesen Blick werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Er dauerte nicht länger als drei Sekunden, sagte aber dennoch soviel aus.

Wir haben es geschafft. Wir halten unseren Sohn in den Armen. Die Zeit des Wartens hat ein Ende. Die Kräfte raubenden Jahre sind vorbei. Wir sind jetzt eine Familie. Wir sind so glücklich und dankbar.

Und dann spürte ich eine Hand auf der Meinen. Sanft. Ganz zärtlich wurde meine Hand gedrückt. Ich drehte den Kopf Richtung Hasi. Und da war er. Ein Blick. Sein Blick. Hasi´s ganz spezieller Blick für mich. Unser Blick. Unser Augenblick. Voll von Zuversicht, Liebe und Wärme.

Wir schaffen das auch!

Der Moment

In meinen kühnsten Träumen hätte ich es mir nicht so vorstellen können. Im Leben nicht hätte ich den Ablauf des Gesprächs mit meinen Eltern so prognostiziert. An alles hab ich gedacht, aber nicht an diese Variante.

In meiner Vorstellung plante ich am Abend zu ihnen zu fahren und ganz ruhig einfach mal das Gespräch zu suchen. Ich wollte beginnen mit „Ich muss mal mit euch reden, habt ihr gerade Zeit?“, wollte weitergehen zu „das bedrückt mich schon lange“ und dann mit gelassener, ruhiger Stimme die Situation erklären. Begonnen mit dem Kinderwunsch als Einstimmung, weiterschwenken zu unseren Einschränkungen. Dann hätte ich die OP-Bombe platzen lassen und zu guter Letzt die Lage etwas aufgelockert durch gnadenlosen Optimismus meinerseits. Geheuchelt, aber immerhin.

Alle die bisher aufmerksam gelesen haben, haben sicher bemerkt, dass bei mir nichts so abläuft, wie ich mir das vorstelle. Man braucht kein Hellseher  zu sein um zu wissen, dass auch das mächtig in die Hose ging.

Es war ein Mittwoch. Schon auf dem nach Hause Weg von der Arbeit kam mir die wahnwitzige Idee das Ganze jetzt und sofort über die Bühne zu bringen. Wie von  Geisterhand fuhr mein Auto ganz automatisch zu meinen Eltern. Mein Verstand war auf off gestellt.

Ich lief ein paar Minuten nervös hin und her, redete über irgendetwas. Belanglose Dinge. Dann packte mich eine Kombination aus Mut und Dummheit und ich begann zu sprechen.

Es hätte so ein schönes Gespräch werden können, hätte ich nicht Folgendes gesagt: "Ich muss operiert werden. Ich muss ins Krankenhaus!" Kabumm!  Dampfwalze gestartet!  Feingefühl zerstört! Auftrag ausgeführt! Noch unsensibler und schroffer hätte es nicht erledigt werden können. Der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen wäre filigraner  gewesen.

Daraufhin gab ich niemandem, nicht mal mir selbst, die Möglichkeit nachzuhaken. Tränen stürzten waagrecht aus meinen Augen, Bäche der Trauer und Verzweiflung. Ich zitterte. Auch meine Mutter hatte binnen Sekunden Tränen in den Augen. Dabei wusste noch nicht einmal jemand, was eigentlich los war. Krankenhaus. Schön und gut. Aber warum. Brustimplantate? Blinddarm? Eingewachsener Zehennagel?

Die Anspannung der letzten Monate brach aus mir heraus. Ein Dauerfeuer aus meiner Gefühls-Kalaschnikow ergoss sich über meine Familie.

Als sich meine Stimme wieder von Fran Fine normalisiert hatte, meine Augen keine Niagarafälle mehr waren und meine Rotzblasen sich zurückentwickelt hatten, erklärte ich die Situation. Ich hatte mich wieder beruhigt. Nach einer festen mütterlichen Umarmung geht doch immer alles leichter, egal wie alt man ist.

Meine Eltern traf diese Information im ersten Moment wie ein Vorschlaghammer. Ihre Gesichter sprachen Bände. Wenn sie mit viel gerechnet hatten, aber nicht mit dem. Fruchtbarkeitsprobleme der Tochter standen offenbar nicht am Mittwoch Nachmittag Programm. Fruchtbarkeitsprobleme der Tochter standen generell nicht auf dem Programm, denn wenn ich auch nur annähernd meiner Mutter nacheifern würde, hätte ich schon einen süßen kleinen "Unfall" als Kind. Ich war nämlich nicht geplant. Meine Wenigkeit ist ein jugoslawisches Luftmatratzenkind. Ich wurde aus dem damaligen Jugoslawien sozusagen als Souvenir vom Campingurlaub mitgebracht. Und der Name Luftmatratzenkind bedarf wohl keiner näheren Erläuterung.

Offenbar lag Unfruchtbarkeit nicht in meinen Familiengenen.

Im Endeffekt wurde kurze Zeit später bereits wieder gelacht, Daumen wurden uns gehalten, die ersten Zwillingsspekulationen wurden in die Runde geworfen, meine Mutter kaufte im Gedanken schon Babysachen ein, mein spaziergehfauler Vater plante schon einen Kinderwagen mit Fernsteuerung und mein Bruder konnte es kaum erwarten Onkel zu werden. Die Welt war wieder in Ordnung.

Es war getan. In meiner Familie war Aufklärungsarbeit geleistet.

Es gibt viel zu regeln

Der Ausblick auf eine OP versetzte mich nicht nur in einen regelrechten Schockzustand, sondern führte mir auch unweigerlich vor Augen, dass etwas getan werden musste. Es setzte voraus, dass ich zumindest meiner unmittelbaren Arbeitskollegin bescheid sagen musste. Mich mit brühend heißem Wasser zu übergießen kam mir in diesem Moment sehr angenehm dagegen vor.

Wie sollte ich das anstellen? Was sollte ich bloß sagen? (Nennen wir sie "D".

„D. Ich muss operieren gehen. Wir wollen ein Baby. Meine bisherigen spontanen Treffen mit Freundinnen in meiner Mittagspause waren alles erstunken und erlogene Ausreden wenn ich wieder mal einen Arzttermin hatte. Meine abweisenden Antworten auf Kinderwunschfragen waren alles nur ein Selbstschutzmechanismus. Ich hab das Lügen jetzt endgültig satt. Ich mach jetzt reinen Tisch, denn den OP Termin und den darauffolgenden Krankenstand kann ich wohl nicht verheimlichen. Du bist mir doch nicht böse, oder?“

Sollte ich das sagen? Rechtfertigte das annähernd meine Situation und meine vorangegangenen Lügen?

Ja. Genau das tat es. Und genau das sagte ich. Wortwörtlich.

Und soll ich  euch was sagen? Es tat gut. Es tat mir so verdammt gut. Ein Stein von der Größe eines Einfamilienhauses  viel von mir ab. Ich hatte das Gefühl, dass der erste Haken meines mich einschnürenden Korsetts geöffnet wurde. Von tief durchatmen war ich noch weit entfernt, aber der erste Schritt war getan.

Dem folgte ein langes Gespräch zwischen uns. Ich erklärte meine momentane Situation, was noch alles auf uns zukommen würde und wie wir uns fühlten. Die Reaktion war toll. Ich bekam absolute Handlungsfreiheit betreffend zukünftiger Urlaube zugesichert. Ich wollte ja keine Untersuchungen auf Arzttermin schreiben. Immerhin sah ich das ganze als mein "Privatvergnügen" an.

Der nächste Schritt wurde mir von meiner besten  Freundin förmlich aufgedrängt. Unterstrichen durch ganz fieses und sehr geschicktes "ins Gewissen reden". Die hatte das vielleicht drauf.

Aber jetzt im Nachhinein bin ich ihr sehr dankbar. Es war nämlich für einige Veränderungen ausschlaggebend.

Sie meinte: "So, jetzt müsst ihr es aber endlich euren Eltern erzählen!" Ich wusste gar nicht wie mir geschah. "Warum sollten wir?" hakte ich nach.

 "Du musst ins Krankenhaus. Was, wenn etwas passiert? Was, wenn dich dort jemand kennt und es deine Eltern so erfahren? Du kannst nicht einfach operieren gehen und deinen eigenen Eltern nicht bescheid geben. Also ich wäre sauer auf dich und vor  allem enttäuscht!"

Das gab mir natürlich zu denken. Sie hatte vollkommen recht. Aber wenn ich es meinen Eltern erzählen würde, dann mussten wir es auch seinen Eltern erzählen. Die wären nämlich auch enttäuscht, wenn sie dann per Zufall davon erfahren würden. Das alles zog einen Rattenschwanz nach sich, der für mich nicht akzeptabel war, denn zusätzlich ging es ja auch noch um unsere Geschwister. Und wir hatten 3 davon.

Ich wollte nicht, dass unsere Eltern es wussten. Die ewigen Fragen wie "was ist jetzt?" oder "wann hast du den nächsten Termin?" waren mir noch egal. Und die sicher gut gemeinten Ratschläge und vor allem die tollen Tipps und Geschichten von anderen, denen es genau so ging störten mich auch wenig. Würden aber unter Garantie kommen. Aber die Aussicht auf das ganze Mitleid das ich angesichts dieser Informationen von ihnen erwartete, das hielt ich im Kopf nicht aus.

Mitleid. Das war überhaupt meine größte Sorge zu diesem Zeitpunkt. Ich wollte kein Mitleid. Mitleid weist einem immer nur wieder auf die Probleme hin. Mitleid bringt auch mitleidige Blicke mit sich. Mitleid hilft einem nicht. Mitleid macht aus dieser echt bescheuerten Situation keine Annehmbarere. Wie das Wort schon aussagt, leidet jemand mit. Und ich litt eindeutig genug, da brauchte ich nicht jemanden der das Ganze noch intensivierte.

Aber ich musste mir eingestehen, dass Ela recht hatte. Ich konnte das nicht für mich behalten. Meine Eltern wären enttäuscht und verletzt, wenn sie womöglich von jemand anderem per Zufall erfahren würden, dass ihre Tochter im Krankenhaus ist.

Also los. Es galt einen guten Moment zu finden. Den perfekten Moment. Einen Moment des Mutes. Einen Moment der Kraft. Einen Moment, an dem ich mein Lügengerüst der vergangenen 3 Jahre mit einem kleinen Hauch zum Stürzen brächte. Da kam Freude auf.

Kinderwunsch-Klinik wir kommen

Der nächste und eigentlich auch einzig weitere Schritt, war die Kinderwunschklinik. Ich hätte natürlich auch noch zu einem dritten Frauenarzt wechseln können. Und ich hätte mir natürlich auch ein Loch ins Knie bohren können oder andere Sinnlosigkeiten praktizieren. Auf was will diese Frau eigentlich hinaus fragt ihr euch? Ich will damit klar machen: es wäre sinnlos gewesen! Ein großer Pluspunkt der Kinderwunschklinik war für uns, dass wir endlich etwas hatten, wo wir beide hingehen konnten. Will heißen: wir hatten es satt, immer getrennt voneinander diesem Problem gegenüberzutreten. Ich bei meinem Arzt, er bei seinem oder im Krankenhaus. Es betraf uns beide, als Paar. Und als solches wollten wir uns auch diesem „Problem“ stellen. Nicht als Einzelkämpfer. Außerdem gab es uns beiden auch Kraft zusammen hinzugehen.

Ich vereinbarte einen Termin für ein Erstgespräch. Es war schon eigenartig. Auf der einen Seite kann es einem nicht schnell genug gehen, auf der anderen Seite hatte ich irgendwie mordsmäßigen Bammel davor. Das ging jetzt alles so schnell; nein schnell ist das falsche Wort. Ich versuche mich zu erklären: In die Kinderwunschklinik zu gehen ist eigentlich schon der letzte Schritt und von der ersten Untersuchung bis jetzt, waren es gerade mal 5 Monate. Hier einen Termin zu haben, war schon das Finale, Endspurt, aus die Maus! Das machte mir auch irgendwie Angst. Man hatte zwischendrin keine anderen Möglichkeiten mehr. So kam es mir zumindest vor.

Schon am Telefon hatte ich ein super Gefühl. Ich fühlte mich verstanden und ernst genommen. Am Freitag der nächsten Woche hatten wir unseren Termin.

Der Tag der Wahrheit kam immer näher. Ich lernte die Homepage der Kinderwunschklinik sozusagen auswendig. Ich war begeistert, was heutzutage alles gemacht werden konnte. Faszinierend!

Was würde uns erwarten? Welche Behandlungsmöglichkeiten kamen auf uns zu? Es war direkt spannend.

Frau Dr. Dr. Alleswisser hatte sich in ihrer Fantasiewelt Folgendes zusammendiagnostiziert:

Hormontabletten für mich, Spermiendoping für Hasi.

Das sollte wohl ausreichen. (stellt euch ein mit Sarkasmus gespicktes, in die Länge gezogenes H A H A vor…)

Ich muss echt gerade lachen! So viel Naivität, das ist ja kaum zu glauben! Im „echten“ Leben bin ich Realistin, stehe mit beiden Beinen fest im Leben (mal mehr – mal weniger). Aber alles was dieses Kinderthema betraf, katapultierte meinen rationalen Verstand in weit entfernte Sphären. „Das Leben ist schön“ und „Alles wird gut“ waren die dortigen Devisen.

Es war Freitag, 11 Uhr. Wir parkten unser Auto in der Tiefgarage. Auf dem Weg zum Haupteingang der Klinik stellte ich fest, dass sich meine Beine meiner Gefühlwelt anpassten. Ein Bein hatte es eilig rein zu kommen, das Andere blockierte regelrecht. Hasi nahm mich an die Hand, wobei ich nicht sagen konnte ob er mir oder ich ihm eine Stütze sein sollte. Es beruhte wahrscheinlich auf Gegenseitigkeit. Drinnen angekommen suchten wir uns auf der Anzeigetafel die Buchstaben „IVF“, fuhren mit dem Lift in den 1. Stock und folgten der Wegbeschreibung. Die Türe öffnete automatisch und wir gingen mit gemischten Gefühlen hinein. Hier waren wir nun. Die IVF Abteilung, die Kinderwunsch-Klinik, der Treffpunkt der Verzweifelten. Ich sah mich um. Mein erster Eindruck (und das hat sich im Laufe der Zeit bestätigt) war, dass die Menschen in diesem Warteraum sich am liebsten verdünnisiert hätten. Köpfe senkten sich Richtung Boden. Es herrschte eine bedrückende Stille. Man wurde nur kurz begutachtet. Kurze musternde Blicke die nur eines aussagten: Willkommen im Klub, ihr bemitleidenswerten Kreaturen!

Wir gingen zur Aufnahme. Dann kam ein sehr angenehmes, freundliches Aufnahmeritual, in dem unsere Daten aufgenommen wurden und eine Polaroidaufnahme von uns beiden gemacht wurde. „Damit man sich auch am Telefon ein Bild von dem Pärchen machen kann“. Wir hatten dort echt Spaß. Wir lachten. Das war angesichts der Tatsachen nicht normal. Aber wir lachten. (Was uns im Warteraum einige entsetzte Blicke einbrachte).

Wir waren Mr. M. zugeteilt. Ein sehr freundlicher junger Doc, der wahrscheinlich nicht sehr viel älter war als wir selbst. Nach einem langen, ausführlichen Gespräch, dem Aufrollen unserer Vorgeschichte und einer genauen Untersuchung meinerseits, stellte Mr. M. den Verdacht auf Endometriose bei mir fest.

Endometriose bedeutet (für Laien wie mich), dass Teile meiner Gebärmutterschleimhaut bis in meinen Bauchraum wucherten. Das kann Schmerzen verursachen. Wie bei mir. Starke Regelbeschwerden, unregelmäßig lange Zyklen. Diesen Verdacht konnte man nur durch eine Operation belegen. Zusätzlich meinte er, dass es natürlich auch an den Eileitern liegen könnte. Verstopfte Eileiter könnten bei dieser OP „durchgeblasen“ werden, also sozusagen in einem Aufwischen. (Außer die Verstopfung liegt gleich im Anschluss an die Gebärmutter, dann könne man nichts machen).

Mir schlug meine Kinnlade am Tisch auf! Wie meinen??!! Was erzählte mir dieser Typ denn da von Schleimhaut und OP und durchblasen von Eileitern? Tabletten Junge!! Her mit den Tabletten!

Mir war in diesem Moment nach Heulen. Was war da gerade passiert? Was war schief gelaufen? Warum hielt sich dieser Arzt nicht an meinen Plan?

Mir wurde noch Blut abgenommen um nochmals meine Hormonwerte zu testen. Dann bekam ich einen weiteren Termin zur Blutabnahme. Hier würde dann ein spezielles Hormon getestet, das Anti-Müller-Hormon. Es würde den Ärzten Aufschluss darüber geben, wie stark ich bei einer künstlichen Befruchtung hormonell stimuliert werden müsste, also meine Eierstöcke. Außerdem sollte ich bei dem nächsten Termin auch gleich einen OP Termin bekommen.

Hasi schickte er zu einem zweiten Spermiogramm. Warum nochmal? Erstens kann sich ja am Ergebnis etwas ändern (ist ja nicht jeder Tag gleich gut oder schlecht) und zweitens benötigt man 2 „negative“ Spermienbefunde um in den Genuss der Fondunterstützung zu kommen. (ich brauche wohl nicht erwähnen, dass wir in dieser Hinsicht „Glück“ hatten)

Ein Gesetz (seit 1.1.2000 in Kraft) legt fest, dass für eine künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation - IVF) bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen der Großteil der Kosten von einem Fonds getragen werden.

Der Fond springt ein bei:
  1. Verschlossenen oder dauerhaft funktionsunfähigen Eileitern
  2. Sterilität (Infertilität) beim Mann
  3. Endometriose (Wucherung der Gebärmutterschleimhaut)
  4. Polycystischem Ovar Syndrom (eine hormonelle Störung, die einen Eisprung verhindert).

Ihr wisst jetzt natürlich noch nicht alles von mir und habt noch keine Ahnung was noch auf uns zukam, aber eines will hier bereits erwähnt sein:

beim Auswählen des Grundes (es reicht einen anzugeben) für die Fondunterstützung konnte man bei uns traurigerweise aus dem Vollen schöpfen. Ene mene muh und raus bis du.

OK. Tief durchatmen. In bin ein Gänseblümchen. Atmen Sandra, atmen.

Das war unser Erstgespräch. Knallharte Infos. Aber wenn wir so unserem Wunschbaby näher kamen, nahm ich das in Kauf. Gut, dann lass ich mich operieren. Wird schon alles gut gehen. Kopf hoch!

Wir verließen die Klinik.


Stimmung: geschockt aber noch optimistisch

 
 

Steine über Steine

Kennt jemand das Gefühl, wenn man erkennt, dass man seinem größten Wunsch sich nicht nähert, sondern immer weiter davon abgetrieben wird? Und man kann nichts dagegen unternehmen. Es werden einem Steine über Steine in den Weg gelegt. Man beseitigt den Einen, doch der Nächste lässt nicht lange auf sich warten. Es werden immer mehr und mehr.

Das beschreibt ziemlich genau wie wir uns in den kommenden Monaten fühlten (und immer noch fühlen, denn während ich dieses Buch schreibe, befinden wir uns in einer echt nervenaufreibenden, schwierigen, fragwürdigen, traurigen...kurz beschissenen Phase)

Wir hatten mittlerweile Mai.

Im Juli darauf wurden es 3 Jahre, dass wir uns so sehr ein Baby wünschten.
 
Aber noch vor diesem deprimierenden Jahrestag entschieden wir uns glücklicherweise noch für den nächsten Schritt.....

Mr. Sch. – SCH wie Scheißkerl

Da wir jetzt vom Krankenhaus endlich den Befund hatten, vereinbarte ich mir wieder einen Termin bei Mr. Sch.

Dieses Mal ging ich zwar nicht mehr ganz so hoch erhobenen Hauptes hin, aber was mich da erwarten sollte, drückte meine sowieso schon leicht angeschlagene Stimmung gegen Null.

Stand der Dinge vor Mr. Sch.:

-          offensichtliches Hormonproblem, ausgehend von der Hirnanhangdrüse

-          Quantitätsproblem bei Spermiogramm (sonst alles in Ordnung)

Ich setze mich, und begann zu erzählen:

"Ich habe jetzt den Befund meines Freundes. Der Doc meinte alles soweit in Ordnung, jedoch sind es sehr wenige brauchbare Spermien."

Dann kam es wie es kommen musste. Mr. Sch. setze an und vernichtete mich in einem Dauerfeuer aus Unfreundlichkeit und Beleidigungen.

"Erstens habe ich den Befund selbst noch nicht geschickt bekommen, also was machen Sie schon hier?"

Dann ein kurzer Blick auf meinen mitgebrachten Befund....

"Zweitens: was heißt hier alles soweit in Ordnung?! Nichts ist hier in Ordnung! Rein gar nichts! Keime, unterdurchschnittlich wenig Spermien, miese Qualität...also was soll hier in Ordnung sein?!"

Mit Tränen randvoll gefüllten Augen versuchte ich ihm dann klar zu machen, dass diese Aussage mein Freund im Krankenhaus bei der Befundbesprechung 1:1 so erhalten hatte.

Darauf er süffisant:" Ach, sie wissen doch wie Männer in Bezug auf ihre Spermien sind. Da gibt es nur Gewinner. Ihr Freund hörte wahrscheinlich nur das, was er hören wollte. Nervös ist man auch..."

Mein Blutdruck beschleunigte sich sozusagen von 0 auf 180 in 2 Sekunden. Ich war sauer. Was bildete sich dieses &&!!!§§§§§ überhaupt ein?! Das war ja wohl die Höhe!

"Lieber Herr Dr. Sch. Mein Freund mag vielleicht kein Vollprofi auf dem Gebiet der Befundbesprechung zwecks Spermiogramm sein und natürlich wird er nervös gewesen sein. Aber zuhören und etwas wiedergeben, das schafft er eigentlich recht gut. Und ich finde es eine Frechheit, dass sie ihm das unterstellen. Und bei allem nötigen Respekt: ich denke, dass ich die Glaubwürdigkeit eines Labors nicht in Frage stellen muss. Sie mögen vielleicht ein guter Arzt sein wenn man bereits schwanger ist – aber definitiv nicht wenn man es werden möchte!"

Sprach sie und stürmte aus der Ordination!

Stand der Dinge nach Mr. Sch.: (laut Mr. Sch.)

-          offensichtliches Hormonproblem, ausgehend von der  Hirnanhangdrüse
-          extremes Quantitätsproblem bei Spermiogramm
-          Keime im Sperma
-          ganz klares generelles Qualitätsproblem
-          wir waren offenbar dumm
-          Auffassungsgabe meines Freundes gleich Null

und ich denke, am Aussterben der Dinosaurier waren wir auch irgendwie beteiligt!

Stimmung: aufgebracht, enttäuscht und vor allem traurig