Mittwoch, 10. Oktober 2012

Es gibt viel zu regeln

Der Ausblick auf eine OP versetzte mich nicht nur in einen regelrechten Schockzustand, sondern führte mir auch unweigerlich vor Augen, dass etwas getan werden musste. Es setzte voraus, dass ich zumindest meiner unmittelbaren Arbeitskollegin bescheid sagen musste. Mich mit brühend heißem Wasser zu übergießen kam mir in diesem Moment sehr angenehm dagegen vor.

Wie sollte ich das anstellen? Was sollte ich bloß sagen? (Nennen wir sie "D".

„D. Ich muss operieren gehen. Wir wollen ein Baby. Meine bisherigen spontanen Treffen mit Freundinnen in meiner Mittagspause waren alles erstunken und erlogene Ausreden wenn ich wieder mal einen Arzttermin hatte. Meine abweisenden Antworten auf Kinderwunschfragen waren alles nur ein Selbstschutzmechanismus. Ich hab das Lügen jetzt endgültig satt. Ich mach jetzt reinen Tisch, denn den OP Termin und den darauffolgenden Krankenstand kann ich wohl nicht verheimlichen. Du bist mir doch nicht böse, oder?“

Sollte ich das sagen? Rechtfertigte das annähernd meine Situation und meine vorangegangenen Lügen?

Ja. Genau das tat es. Und genau das sagte ich. Wortwörtlich.

Und soll ich  euch was sagen? Es tat gut. Es tat mir so verdammt gut. Ein Stein von der Größe eines Einfamilienhauses  viel von mir ab. Ich hatte das Gefühl, dass der erste Haken meines mich einschnürenden Korsetts geöffnet wurde. Von tief durchatmen war ich noch weit entfernt, aber der erste Schritt war getan.

Dem folgte ein langes Gespräch zwischen uns. Ich erklärte meine momentane Situation, was noch alles auf uns zukommen würde und wie wir uns fühlten. Die Reaktion war toll. Ich bekam absolute Handlungsfreiheit betreffend zukünftiger Urlaube zugesichert. Ich wollte ja keine Untersuchungen auf Arzttermin schreiben. Immerhin sah ich das ganze als mein "Privatvergnügen" an.

Der nächste Schritt wurde mir von meiner besten  Freundin förmlich aufgedrängt. Unterstrichen durch ganz fieses und sehr geschicktes "ins Gewissen reden". Die hatte das vielleicht drauf.

Aber jetzt im Nachhinein bin ich ihr sehr dankbar. Es war nämlich für einige Veränderungen ausschlaggebend.

Sie meinte: "So, jetzt müsst ihr es aber endlich euren Eltern erzählen!" Ich wusste gar nicht wie mir geschah. "Warum sollten wir?" hakte ich nach.

 "Du musst ins Krankenhaus. Was, wenn etwas passiert? Was, wenn dich dort jemand kennt und es deine Eltern so erfahren? Du kannst nicht einfach operieren gehen und deinen eigenen Eltern nicht bescheid geben. Also ich wäre sauer auf dich und vor  allem enttäuscht!"

Das gab mir natürlich zu denken. Sie hatte vollkommen recht. Aber wenn ich es meinen Eltern erzählen würde, dann mussten wir es auch seinen Eltern erzählen. Die wären nämlich auch enttäuscht, wenn sie dann per Zufall davon erfahren würden. Das alles zog einen Rattenschwanz nach sich, der für mich nicht akzeptabel war, denn zusätzlich ging es ja auch noch um unsere Geschwister. Und wir hatten 3 davon.

Ich wollte nicht, dass unsere Eltern es wussten. Die ewigen Fragen wie "was ist jetzt?" oder "wann hast du den nächsten Termin?" waren mir noch egal. Und die sicher gut gemeinten Ratschläge und vor allem die tollen Tipps und Geschichten von anderen, denen es genau so ging störten mich auch wenig. Würden aber unter Garantie kommen. Aber die Aussicht auf das ganze Mitleid das ich angesichts dieser Informationen von ihnen erwartete, das hielt ich im Kopf nicht aus.

Mitleid. Das war überhaupt meine größte Sorge zu diesem Zeitpunkt. Ich wollte kein Mitleid. Mitleid weist einem immer nur wieder auf die Probleme hin. Mitleid bringt auch mitleidige Blicke mit sich. Mitleid hilft einem nicht. Mitleid macht aus dieser echt bescheuerten Situation keine Annehmbarere. Wie das Wort schon aussagt, leidet jemand mit. Und ich litt eindeutig genug, da brauchte ich nicht jemanden der das Ganze noch intensivierte.

Aber ich musste mir eingestehen, dass Ela recht hatte. Ich konnte das nicht für mich behalten. Meine Eltern wären enttäuscht und verletzt, wenn sie womöglich von jemand anderem per Zufall erfahren würden, dass ihre Tochter im Krankenhaus ist.

Also los. Es galt einen guten Moment zu finden. Den perfekten Moment. Einen Moment des Mutes. Einen Moment der Kraft. Einen Moment, an dem ich mein Lügengerüst der vergangenen 3 Jahre mit einem kleinen Hauch zum Stürzen brächte. Da kam Freude auf.

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