In meiner Vorstellung plante ich am Abend zu ihnen zu fahren und ganz
ruhig einfach mal das Gespräch zu suchen. Ich wollte beginnen mit „Ich muss mal
mit euch reden, habt ihr gerade Zeit?“, wollte weitergehen zu „das bedrückt
mich schon lange“ und dann mit gelassener, ruhiger Stimme die Situation
erklären. Begonnen mit dem Kinderwunsch als Einstimmung, weiterschwenken zu
unseren Einschränkungen. Dann hätte ich die OP-Bombe platzen lassen und zu guter
Letzt die Lage etwas aufgelockert durch gnadenlosen Optimismus meinerseits.
Geheuchelt, aber immerhin.
Alle die bisher aufmerksam gelesen haben, haben sicher
bemerkt, dass bei mir nichts so abläuft, wie ich mir das vorstelle. Man braucht
kein Hellseher zu sein um zu wissen,
dass auch das mächtig in die Hose ging.
Es war ein Mittwoch. Schon auf dem nach Hause Weg von der Arbeit kam mir
die wahnwitzige Idee das Ganze jetzt und sofort über die Bühne zu bringen. Wie
von Geisterhand fuhr mein Auto ganz
automatisch zu meinen Eltern. Mein Verstand war auf off gestellt.
Ich lief ein paar Minuten nervös hin und her, redete über irgendetwas.
Belanglose Dinge. Dann packte mich eine Kombination aus Mut und Dummheit und
ich begann zu sprechen.
Es hätte so ein schönes Gespräch werden können, hätte ich nicht
Folgendes gesagt: "Ich muss operiert werden. Ich muss ins
Krankenhaus!" Kabumm! Dampfwalze gestartet! Feingefühl zerstört! Auftrag ausgeführt!
Noch unsensibler und schroffer hätte es nicht erledigt werden können. Der
sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen wäre filigraner gewesen.
Daraufhin gab ich niemandem, nicht mal mir selbst, die Möglichkeit
nachzuhaken. Tränen stürzten waagrecht aus meinen Augen, Bäche der Trauer und
Verzweiflung. Ich zitterte. Auch meine Mutter hatte binnen Sekunden Tränen in
den Augen. Dabei wusste noch nicht einmal jemand, was eigentlich los war.
Krankenhaus. Schön und gut. Aber warum. Brustimplantate? Blinddarm?
Eingewachsener Zehennagel?
Die Anspannung der letzten Monate brach aus mir heraus. Ein Dauerfeuer
aus meiner Gefühls-Kalaschnikow ergoss sich über meine Familie.
Als sich meine Stimme wieder von Fran Fine normalisiert
hatte, meine Augen keine Niagarafälle mehr waren und meine Rotzblasen sich
zurückentwickelt hatten, erklärte ich die Situation. Ich hatte mich wieder
beruhigt. Nach einer festen mütterlichen Umarmung geht doch immer alles
leichter, egal wie alt man ist.
Meine Eltern traf diese Information im ersten Moment wie ein
Vorschlaghammer. Ihre Gesichter sprachen Bände. Wenn sie mit viel gerechnet
hatten, aber nicht mit dem. Fruchtbarkeitsprobleme der Tochter standen offenbar
nicht am Mittwoch Nachmittag Programm. Fruchtbarkeitsprobleme der Tochter
standen generell nicht auf dem Programm, denn wenn ich auch nur annähernd
meiner Mutter nacheifern würde, hätte ich schon einen süßen kleinen
"Unfall" als Kind. Ich war nämlich nicht geplant. Meine Wenigkeit ist
ein jugoslawisches Luftmatratzenkind. Ich
wurde aus dem damaligen Jugoslawien sozusagen als Souvenir vom Campingurlaub
mitgebracht. Und der Name Luftmatratzenkind bedarf wohl keiner näheren
Erläuterung.
Offenbar lag Unfruchtbarkeit nicht in meinen Familiengenen.
Im Endeffekt wurde kurze Zeit später bereits wieder gelacht, Daumen
wurden uns gehalten, die ersten Zwillingsspekulationen wurden in die Runde
geworfen, meine Mutter kaufte im Gedanken schon Babysachen ein, mein
spaziergehfauler Vater plante schon einen Kinderwagen mit Fernsteuerung und
mein Bruder konnte es kaum erwarten Onkel zu werden. Die Welt war wieder in
Ordnung.
Es war getan. In meiner Familie war Aufklärungsarbeit geleistet.
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