Mittwoch, 10. Oktober 2012

Der Moment

In meinen kühnsten Träumen hätte ich es mir nicht so vorstellen können. Im Leben nicht hätte ich den Ablauf des Gesprächs mit meinen Eltern so prognostiziert. An alles hab ich gedacht, aber nicht an diese Variante.

In meiner Vorstellung plante ich am Abend zu ihnen zu fahren und ganz ruhig einfach mal das Gespräch zu suchen. Ich wollte beginnen mit „Ich muss mal mit euch reden, habt ihr gerade Zeit?“, wollte weitergehen zu „das bedrückt mich schon lange“ und dann mit gelassener, ruhiger Stimme die Situation erklären. Begonnen mit dem Kinderwunsch als Einstimmung, weiterschwenken zu unseren Einschränkungen. Dann hätte ich die OP-Bombe platzen lassen und zu guter Letzt die Lage etwas aufgelockert durch gnadenlosen Optimismus meinerseits. Geheuchelt, aber immerhin.

Alle die bisher aufmerksam gelesen haben, haben sicher bemerkt, dass bei mir nichts so abläuft, wie ich mir das vorstelle. Man braucht kein Hellseher  zu sein um zu wissen, dass auch das mächtig in die Hose ging.

Es war ein Mittwoch. Schon auf dem nach Hause Weg von der Arbeit kam mir die wahnwitzige Idee das Ganze jetzt und sofort über die Bühne zu bringen. Wie von  Geisterhand fuhr mein Auto ganz automatisch zu meinen Eltern. Mein Verstand war auf off gestellt.

Ich lief ein paar Minuten nervös hin und her, redete über irgendetwas. Belanglose Dinge. Dann packte mich eine Kombination aus Mut und Dummheit und ich begann zu sprechen.

Es hätte so ein schönes Gespräch werden können, hätte ich nicht Folgendes gesagt: "Ich muss operiert werden. Ich muss ins Krankenhaus!" Kabumm!  Dampfwalze gestartet!  Feingefühl zerstört! Auftrag ausgeführt! Noch unsensibler und schroffer hätte es nicht erledigt werden können. Der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen wäre filigraner  gewesen.

Daraufhin gab ich niemandem, nicht mal mir selbst, die Möglichkeit nachzuhaken. Tränen stürzten waagrecht aus meinen Augen, Bäche der Trauer und Verzweiflung. Ich zitterte. Auch meine Mutter hatte binnen Sekunden Tränen in den Augen. Dabei wusste noch nicht einmal jemand, was eigentlich los war. Krankenhaus. Schön und gut. Aber warum. Brustimplantate? Blinddarm? Eingewachsener Zehennagel?

Die Anspannung der letzten Monate brach aus mir heraus. Ein Dauerfeuer aus meiner Gefühls-Kalaschnikow ergoss sich über meine Familie.

Als sich meine Stimme wieder von Fran Fine normalisiert hatte, meine Augen keine Niagarafälle mehr waren und meine Rotzblasen sich zurückentwickelt hatten, erklärte ich die Situation. Ich hatte mich wieder beruhigt. Nach einer festen mütterlichen Umarmung geht doch immer alles leichter, egal wie alt man ist.

Meine Eltern traf diese Information im ersten Moment wie ein Vorschlaghammer. Ihre Gesichter sprachen Bände. Wenn sie mit viel gerechnet hatten, aber nicht mit dem. Fruchtbarkeitsprobleme der Tochter standen offenbar nicht am Mittwoch Nachmittag Programm. Fruchtbarkeitsprobleme der Tochter standen generell nicht auf dem Programm, denn wenn ich auch nur annähernd meiner Mutter nacheifern würde, hätte ich schon einen süßen kleinen "Unfall" als Kind. Ich war nämlich nicht geplant. Meine Wenigkeit ist ein jugoslawisches Luftmatratzenkind. Ich wurde aus dem damaligen Jugoslawien sozusagen als Souvenir vom Campingurlaub mitgebracht. Und der Name Luftmatratzenkind bedarf wohl keiner näheren Erläuterung.

Offenbar lag Unfruchtbarkeit nicht in meinen Familiengenen.

Im Endeffekt wurde kurze Zeit später bereits wieder gelacht, Daumen wurden uns gehalten, die ersten Zwillingsspekulationen wurden in die Runde geworfen, meine Mutter kaufte im Gedanken schon Babysachen ein, mein spaziergehfauler Vater plante schon einen Kinderwagen mit Fernsteuerung und mein Bruder konnte es kaum erwarten Onkel zu werden. Die Welt war wieder in Ordnung.

Es war getan. In meiner Familie war Aufklärungsarbeit geleistet.

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