Montag, 15. Oktober 2012

Eskimos

Nach einer wider Erwarten gut durchschlafenen Nacht fiel es mir am Morgen schon wieder etwas leichter, dem Ganzen positiver gegenüberzutreten. Na Gott sei Dank. Denn so wie ich gestern noch drauf war, konnte ich heute wirklich nicht zum Transfer marschieren. Ich war so richtig scheiß drauf. Seit Ewigkeiten freute ich mich auf diesen Tag, aber gestern war mir alles egal.

Meine Augen waren durch das Durchheulen am gestrigen Tag nur mehr kleine, verschwollene Schlitze. Mein Gesicht sah aus wie New Orleans nach dem Hurrikan Katrina. Ich saß bis 18:00 Uhr in der Arbeit. Kurz vorm Zusammenbrechen und Überlaufen. Zwei Sekunden vorm Losheulen. Aber ich musste stark bleiben. Bis 18 Uhr. Um Punkt 18 Uhr stieg ich in mein Auto ein. Und dann begann er. Ein nie wieder endend wollender Heulkrampf. Ich habe gar keine Ahnung wie ich nach Hause gekommen bin, denn ich kann mich an nichts mehr erinnern. Ich war nur mehr am weinen.

Aber heute ist ein neuer Tag. Die letzten Kraftreserven habe ich angezapft und meine positive Einstellung ist auch wieder zurückgekehrt. Da Hasi dieses Mal leider nicht dabei sein konnte (arbeitsbedingt), fuhr mich meine Mum zum Termin um 8:15 Uhr. Meine größte Angst war, dass mit meinem Einzelkämpfer womöglich über Nacht auch noch etwas passiert wäre. Dass es zu keinem Transfer kommen würde. Dass mein Monat voller Hormone völlig umsonst war. Das Warten und Bangen völlig sinnlos.
Ja. Das war meine größte Angst.

Mum meinte, sie warte draußen auf mich. War mir auch recht, denn direkt beim Transfer wollte ich sowieso niemanden dabei haben (außer Hasi, und der war ja nicht da). Zwischen meinen Beinen war in den letzten Monaten bei den ganzen Untersuchungen zwar ohnehin öffentliches Territorium entstanden, aber ich wollte dennoch keine zusätzlichen Augenpaare mehr dort anwesend wissen.

Ich betrat die Klinik, ging zur Aufnahme der IVF und gleich nach der Begrüßung waren meine Worte: "Gibt es meinen Einzelkämpfer noch?"

Die Schwester meinte nur: "Ich denke schon, denn sonst hätte ich etwas Gegenteiliges gehört. In diesem Moment ist noch Besprechung, gleich wissen wir mehr."

Ungefähr 10 Minuten später tippte mir eine andere Schwester von hinten auf die Schulter und bat mich mitzukommen. Es war so weit. Transfer. Der Tag X. So sehr herbeigesehnt und doch beängstigend. Ich war extrem nervös. Hätten meine Knie noch ein kleines bisschen mehr gezittert, hätten sie Charleston getanzt.

Ich wurde in ein Zimmer begleitet. Dort war bereits die Schwester mit der ich telefoniert hatte und die mir die schlechten Nachrichten mitgeteilt hatte. Kurz darauf heulte ich erneut, aber dieses Mal waren es Freudentränen. Tränen der Erleichterung. Des Glücks.
"Wir haben Glück. Die beiden Anderen haben sich auch noch zu Blastozysten entwickelt. Die Qualität ist so gut, dass wir sie kryokonservieren (einfrieren) können!"

Ich brach regelrecht zusammen. Meine Augen waren ja vom vielen Heulen sowieso nur mehr geschwollene Schlitze, aber diese Info brachte den Flüssigkeitsverlust noch einmal auf Touren.




  
Nachdem ich einige Formulare unterschrieben hatte (so genau weiß ich echt nicht mehr was das alles war, ich war zu aufgekratzt), ging es los. Den Transfer hatte ich mir immer als absolut emotionalen Moment vorgestellt, doch wenn ich ehrlich bin, war ich dann im Endeffekt froh, als es vorbei war. Es stellte sich nämlich heraus, dass mein "Gebärmutterhighway" (Gebärmutterhals) auch wieder Anomalien aufwies. Oh Ödnis – oh Tristesse.

Normalfall = ziemlich gerade
mein Fall = eine S-Kurve

Man kann sich sicherlich vorstellen, dass das Einführen des Schlauches keine angenehme Situation für mich war. Ich versuchte an irgendetwas zu denken, bloß nicht an die gegenwärtige Situation. Vier Personen mit voller Konzentration auf meinen Schambereich, ein Schlauch, der versucht eine Haarnadelkurve auf schmerzlose Weise zu bewältigen und ich. Ein nervöses Wrack.

"Entspannen sie sich, ganz locker lassen."
Ja klar. Also echt Doc (übrigens Mr. M). Du hast ja keine Ahnung. Wie soll man sich denn hier entspannen? Sehr, sehr lustiges Kerlchen dieser Mr. M. Ich lach mich tot.

Ich bestrafte ihn mit einem aussagekräftigen Blick. In diesem Moment konnte ich nur an eines denken. Ich wäre gerne Superman gewesen, dann hätte ich ihn mit meinem Hitzeblick zu Staub verwandelt.

Gesagt habe ich: "OK."

Auf jeden Fall bekam ich dann die Info, dass es vorbei wäre. Alles erledigt. Ich sollte noch ein paar Minuten liegen bleiben und konnte dann nach Hause gehen.

Es war also getan. Unser Blasti (so nenne ich ihn immer liebevoll) war in mir. Eingepflanzt in meine Gebärmutter, die ihn hoffentlich gastfreundlich empfangen würde. Jetzt hieß es ab zu warten. Ewig lang erscheinende zwei Wochen warten. Warten auf die hoffentlich nicht eintretende Periode. Warten auf die so sehr herbeigesehnte Schwangerschaft.

2 Wochen oder
14 Tage oder
336 Stunden oder
20160 Minuten oder
1209600 Sekunden.

Natürlich alles nur Daumen mal Pi. Wie sollte ich das bloß aushalten? Was macht man denn 14 Tage lang, damit die Zeit schnell vergeht? Positiv denken. Ruhig bleiben.

Beim Verlassen der Klinik hatte ich ein komisches Gefühl. Eine Mischung aus Nervosität, Unsicherheit und der Angst, dass mir mein Blasti gleich herausfallen könnte. Dumm, ich weiß. Ich wollte einfach alles richtig machen. Nicht zu viel bewegen. Schnell nach Hause. Einfach hinlegen und fernsehen. Keine Anstrengung. Perfekte Voraussetzungen schaffen.

Auch wenn ich fest daran glaubte, dass unser Blasti es schaffen würde. Es war trotzdem gut zu wissen, dass wir zwei Eskimos im Eisfach hatten. Das bedeutete nämlich für mich, dass ich mir bei einem eventuellen zweiten Versuch die ganze Hormonprozedur sparen könnte. Keine Spritzen, keine Punktion. Nur Einsetzen.

Aber wer dachte denn zu diesem Zeitpunkt schon an einen zweiten Versuch?

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