Genau genommen muss man die Wartezeit (auf diesen langbeinigen
Nichtsnutz) auch in unterschiedliche Phasen einteilen:
1) immer noch euphorisch von der Idee angehaucht
2) sich selbst wundernd, warum es jetzt schon eine
Weile dauert
3) die Phase in der man sich selbst zu belügen beginnt
4) die Phase in der man sich selbst belügt und den
ganzen Mist auch noch glaubt
5) die "sich vor anderen
Rechtfertigungsphase"
1) Man sieht alles wie durch eine rosarote Brille, malt sich alles in
den schönsten Farben aus und spricht von nichts anderem. Das ganze Leben
scheint sich nur mehr um Babys zu drehen. Außerdem werden immer mehr Freunde in
den Kreis der Wissenden aufgenommen.
Ich gehörte in dieser Lebenslage zu den völlig Beknackten, und kaufte
prophylaktisch eine Wickeltasche, Montag-Sonntags-Lätzchen und Babysöckchen
(die gammeln jetzt seit 5 Jahren in den unendlichen Weiten meines
Kleiderschranks dahin). Diese Phase kann - je nach Beknacktheitsgrad –
verschieden lange andauern. Bei mir war es grob geschätzt 1 Jahr. 1 Jahr
wahrscheinlich auch deshalb, weil es allgemein bekannt ist, dass es bis zu
einem Jahr dauern kann, bis sich die Hormone der Verhütungsmittel im Körper
abgebaut haben. In meinem Fall die Pille. Ich bin kein mathematisches Genie,
aber dass ich seit meinem 15 Lebensjahr Daumen mal Pi 2500 Euro hätte sparen
können, könnte sogar Chantal berechnen (jetzt kann ich mich angesichts der
beidseitigen Fruchtbarkeitsdefizite darüber schwarz ärgern).
2) Jetzt ist es soweit: Die Euphoriefassade beginnt zu bröckeln und
schön langsam aber sicher wundert man sich doch ein wenig über den eigenen
Körper. Jetzt müsste er doch hormontechnisch schon clean sein. Ich wusste zu
diesem Zeitpunkt noch nichts von Ovulationstests, Temperaturmessen und dem
ganzen anderen Zeug, das jede Grenze meines Vorstellungsvermögens sprengt. Das
war noch alles in weiter Ferne für mich. Und eines sei an dieser Stelle noch
erwähnt: über den weiblichen Körper wusste ich zu diesem Zeitpunkt genau so
wenig.
3) Diese Phase war für mich rückblickend eine der spannendsten und
witzigsten. Sich selbst zu belügen kann wirklich amüsant sein. Es ist eine
Mischung aus Rechtfertigung und Lügen. Man versucht wie Sherlock Holmes
dahinter zu kommen, welche Beweggründe der eigene Körper haben könnte, nicht kugelrund
und aufgedunsen werden zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich begonnen, mich
im Internet schlau zu machen. Alles zum Thema Schwangerschaft saugte ich wie
ein knochentrockener Schwamm in mich auf. Bewirkt hat das Ganze, dass ich immer
noch keine Beweggründe des Körpers beantworten konnte, sondern noch viel
schneller schwanger werden wollte. Mein Lügengerüst war durch den weisen Spruch
"Gut Ding braucht Weile" so massiv wie das Stahlbetonfundament eines
New Yorker Wolkenkratzers geworden. Darauf konnte man ohne mit der Wimper zu
zucken drei neue World Trade Center bauen.
4) Ich wurde skeptisch, war eingeschüchtert und verstand die Welt nicht
mehr. Andere hatten die Hose noch nicht mal bei den Knöcheln und wurden
schwanger. Rundherum bekamen Freunde und Bekannte ohne Schwierigkeiten Kinder
oder freuten sich über angehende Schwangerschaften. Und bei mir? Bei mir
schlich sich langsam aber unaufhaltsam ein ganz ekelhaftes Gefühl ein: Neid.
Groll und Zorn entwickelte sich. Als ich mir diese Tatsache in einer
besinnlichen Minute eingestanden habe, empfand und beschrieb ich dieses Gefühl
so: "Ich habe einen riesigen Brocken Wut und Zorn in mir und schleppe ihn
tagtäglich mit mir herum". Kurz: Mir ging es beschissen. Aber ich hatte
immer noch genug Rechtfertigungen parat:
- Ich weiß ja gar nicht, wann meine fruchtbare Zeit ist (Achtung Lüge!
Jede Frau mit gesundem Menschenverstand weiß natürlich, wann der Eisprung an
die Türe klopft)
- Mein Partner ist Montag bis Donnerstag auf Montage in einer anderen
Stadt. Falls ich meine fruchtbare Zeit hätte, wäre er ja gar nicht da. (Dicke
fette Lüge! Durch die Dauer der fruchtbaren Zeit über einige Tage völlig
irrelevant!)
- Und die fetteste aller Lügen: ich richte doch mein Sexleben nicht nach
einem Monatsplan aus! (In Wirklichkeit macht man das erstens schon intuitiv und
zweitens: Wenn man darauf Einfluss hätte, würde man pünktlich auf die Minute
Sex haben.)
Und bevor die Frage auftaucht: ja, ich glaubte diese Kacke tatsächlich.
All das war mein Fels in der Brandung, meine Titanic des Selbstbetrugs!
5) Im Rechtfertigen mir selbst gegenüber war ich zur Höchstform
aufgelaufen. Jetzt musste der Mist einfach noch an den Mann/die Frau gebracht
werden. Die Freunde fragten schließlich bereits mehr oder weniger rücksichtsvoll
nach. Immerhin war es schon eine ganze Weile her, als man ihnen "Die
Idee" unterbreitete. Aber die Fragen prallten am Bug meines
Hochseekreuzers ab wie Gummibälle an einer Granitmauer. Ich hörte mich selbst
Dinge wie "das wird schon werden" sagen, den altbekannten aber immer
noch funktionstauglichen Spruch "Gut Ding braucht Weile" rauswürgen
(der schon fast zu meinem Lebensmotto mutierte) oder (auch ein Klassiker)
"jetzt konzentrier ich mich mal auf die Arbeit". All das verließ meinen
Mund ohne jegliche Anstrengung. Ich hatte es bereits verinnerlicht. Und dann
tauchte dieser verfluchte Eisberg auf und brachte meine Titanic zum Sinken.
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