Freitag, 12. Oktober 2012

Pustekuchen

Auf den Tag der Nachbesprechung freuten wir uns wie kleine Kinder auf die Fahrt ins Ferienlager. Was sollte schon groß passieren? In unserer Vorstellung würden unsere Götter in Weiß bereits das richtige Medikament zur Erhöhung von Hasi´s Spermienquantität bereitgestellt haben und mein gesunder Eileiter würde in kürzester Zeit die gedopten Schwimmer ans Ziel geleiten.

Wir waren einfach zu naiv.

Mr. M holte uns in den Untersuchungsraum. Die beiden Ärzte wechselten sich für unsere Betreuung immer ab. Mir war es egal, waren doch beide wirklich nett.

"So, wie geht es Ihnen? Operation gut überstanden?"
"Jaja, alles in bester Ordnung."
"Mr. T hat ja bereits bei der Visite mit Ihnen alles besprochen, oder? Jetzt planen wir die weitere Vorgangsweise."
"Ja. Ein Eileiter ist unbrauchbar. Endometrioseverdacht hat sich nicht bestätigt."
"Da muss ich ihnen widersprechen. Ein Eileiter ist generell eher unbrauchbar und beim Zweiten wurde zwei Mal ein Kontrastmittel eingespritzt, aber auch der erledigt seinen Job nicht gut. Will heißen, dass Ihre Eileiter für eine natürliche Schwangerschaft eher ausgeschlossen werden können."

Also darauf fiel jetzt nicht mal mir eine Antwort ein. Hasi sah mich ganz entsetzt an.

"Tja, dann habe ich da wohl etwas falsch verstanden", sagte ich ziemlich geknickt. "Was bedeutet das jetzt?"


"Es gäbe grundlegend verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel Verkehr zum Optimum, also Verkehr zum optimalen Zeitpunkt. Diese Methode wird gewählt, wenn die Eileiter erwiesenermaßen durchgängig und voll funktionsfähig sind, und die Samenqualität normal ist. Fällt also bei Ihnen durch Ihre Eileiter weg. Dann gäbe es noch die Insemination. Der Samen des Mannes sollte weitgehend im Normbereich oder knapp darunter liegen. Die beweglichen Samenzellen werden im IVF-Labor isoliert und anschließend in die Gebärmutterhöhle der Frau eingebracht. Hier liegt die Erfolgsrate bei 10 - 15%. Ist nicht gerade viel. Das müssen Sie selbst entscheiden, ob sie es versuchen wollen. Sie können immer mal wieder eine Insemination versuchen, wenn Sie möchten. Aber ich würde eher zu der dritten Möglichkeit raten."

Ganz fest drückte ich Hasi´s Hand. Wir konnten nicht glauben was da gerade geschah. Ich schluckte schwer und hatte das dumpfe Gefühl, als ob wir uns in genau diesem Moment dem dramaturgischen Höhepunkt nähern würden.
Und genau so war es dann auch.

"Mein Vorschlag wäre, dass wir gleich mit einer IVF starten. IVF heißt In Vitro Fertilisation.  Das ist die Methode der Wahl bei Eileiterproblemen (beidseits entfernte oder verschlossene, nicht funktionstüchtige Eileiter). Die Samenqualität des Mannes sollte den Normwerten entsprechen. Nach einer entsprechenden hormonellen Stimulationstherapie wird die Punktion der im Eierstock entstandenen Eibläschen durchgeführt. Die so gewonnenen Eizellen werden im Labor mit den Spermien des Mannes vereinigt. Wenn eine Befruchtung und Teilung der Eizellen stattgefunden hat, werden ein oder zwei Embryonen in die Gebärmutter transferiert. Hier liegt die Erfolgsrate bei ca. 35%. Tja, das wären die zwei für Sie möglichen Optionen. Lassen Sie sich ruhig Zeit bei der Entscheidung."

Ich verstand nur Bahnhof. Nicht weil Mr. M´s Erklärung so kompliziert gewesen wäre, sondern weil ich es einfach nicht raffte. Künstliche Befruchtung? Insemination? So einfach dürfte unser Wunschbaby in der Umsetzung also doch nicht sein, wie wir gedacht hatten. Panik machte sich breit. Ein kurzer Schweißausbruch folgte. Hasi hat es komplett die Sprache verschlagen und auch ich stammelte nur mehr unkontrolliert Geräusche vor mich hin. Kurzzeitig schoss mir die Idee von "Verstehen Sie Spaß" ins Gehirn ein. Aber das war sogar für meine Verhältnisse zu unglaubwürdig. Was hier geschah war mehr eine ganz schlechte Inszenierung von "Gute Zeiten – Schlechte Zeiten".

Und da augenscheinlich der Bedarf an Seifenopern noch nicht gedeckt war, teilte mir Mr. M noch Folgendes mit:
"Übrigens, bei der OP wurden Sie auch gleich am Darm operiert. Ihr Darm war nämlich an der Bauchdecke angewachsen. Das haben wir gleich mitgemacht."

"Schön. Sonst noch etwas?" stammelte ich.
"Nein, sonst ist nichts mehr. Und? Können Sie sich schon vorstellen, wie sie sich entscheiden werden?"

Hasi und ich sahen uns an. Nach kurzem Abwägen der unterschiedlichen Erfolgsraten entschieden wir uns relativ schnell für die IVF. Für uns zählte in diesem Moment nur die Prozentzahl. Über die 10 - 15%ige Insemination wurde nicht einmal richtig nachgedacht.

IVF also. Na gut. Wir hatten uns entschieden. Also los. Her mit den Hormonen. Schlimm genug, dass wir überhaupt eine künstliche Befruchtung brauchten. Aber wenn, dann wollte ich diese sofort. Ich wurde unschön in meiner Euphorie gebremst, als mir Mr. M mitteilte, dass ich zyklusbedingt drei Wochen warten müsste, bis ich mit den Hormonen beginnen könnte.

Drei Wochen? Einundzwanzig Tage! Jetzt warten wir schon so lange auf unser Wunschkind und jetzt müssen wir noch weitere sinnlose drei Wochen absitzen?

Jetzt reichte es aber. Dieser Tag hatte eindeutig zu viele negative Informationen intus. Verstopfte Eileiter, künstliche Befruchtung, lange Wartezeiten, angewachsene Gedärme und relativ schlechte prozentuelle Chancen (denn seien wir uns ehrlich: was sind schon 35%?). Also aufbauen konnte uns das wirklich nicht. Im Gegenteil. Wir waren extrem frustriert und niedergeschlagen.

Der absolute Nullpunkt war somit erreicht.

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